Die Bundesregierung geht an die Börse. Sie wird Aktien kaufen und will die Renditen in die Renten stecken. Über zwölf Milliarden Euro wird sie allein dieses Jahr in die sogenannte Aktienrente investieren. Insgesamt soll sich die Summe auf 200 Milliarden belaufen. Dafür nimmt das Kabinett Kredite auf und dabei ist die dem Finanzminister Christian Lindner (FDP) sonst so heilige Schuldenbremse kein Thema.
Als guter Tipp für einen Novizen des Aktienhandels gilt: Nie Schulden aufnehmen, um Aktien zu kaufen! Aber wenn der Staat dies tut, soll es intelligent sein. Als Lindner Anfang März vor die Presse trat und das erwartbare Wort vom Paradigmenwechsel sprach, relativierte er das Schuldenmachen: Aus den Renditen der angelegten Milliarden ließen sich doch die Zinsen für die aufzunehmenden Kredite locker bestreiten.
Mit der Aktienrente agiert der Staat nun als Fondsmanager und platziert Milliarden auf Finanzmärkten, die bereits von einem Übermaß an Geldkapital geflutet sind.
Geld, so das implizite Versprechen, vermehrt sich von selbst. »Das Geld für sich arbeiten lassen«, heißt dies umgangssprachlich. Es ist die »Vorstellung vom Kapital als einem sich durch sich selbst verwertenden Automaten«, wie Karl Marx den Geldfetisch umschrieben hat. Diese Sicht ignoriert, dass die wunderbare Geldvermehrung auf dem schnöden Arbeitsprozess basiert. Dieser Prozess formt die äußere Natur zu einem brauchbaren, einen Käufer suchenden Intestine um – wozu es menschliche Arbeitskraft braucht. Die Renditen der sogenannten Finanzwirtschaft gibt es nun mal nicht losgelöst von der sogenannten Realwirtschaft. Ohne die vom Kapital gekaufte und angewandte menschliche Arbeitskraft funktioniert das Geldmachen nicht.
Mit der Aktienrente agiert der Staat nun als Fondsmanager und platziert Milliarden auf Finanzmärkten, die bereits von einem Übermaß an Geldkapital geflutet sind. Die Transaktionen der globalen Finanzmärkte übersteigen die Investitionen in die Realwirtschaft um ein Vielfaches. Die Schätzungen der Ökonomen schwanken: Ist ein Verhältnis von zehn zu eins realistisch, oder gar von 50 zu eins? Während die Finanzindustrie jährliche Renditen von mehr als zehn Prozent verspricht, wäre das Gros der deutschen Industrieunternehmen glücklich, würde es beständig nur halb so viel einfahren.
Wenn nun die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt beginnt, mit ihren Milliarden zu spekulieren, wird dies die Kurse weiter in die Höhe treiben, zur Freude der Aktienbesitzer. Aber es wird auch das Risiko von Finanzblasen erhöhen.
Die Aktienrente ist vor allem für die FDP eine Herzensangelegenheit. Während der Covid-19-Pandemie purzelten die Kurse, und die Aktienrente wäre kaum zu verkaufen gewesen. Angesichts der derzeitigen Hausse an den Börsen scheint nun die Gelegenheit günstig – der Dax erreicht gerade historische Rekordwerte, obwohl die deutsche Ökonomie in die Rezession schlittert. So kann das Kabinett sich und die Öffentlichkeit glauben machen, Aktienkurse würden nur die Richtung nach oben kennen.
Die SPD und die Grünen fordern eigentlich bei der Rente schon lange die Einführung einer sogenannten Bürgerversicherung.
Die FDP hat ihre Koalitionspartner an den Zauber des Anfangs und die Lyrik des Koalitionsvertrags erinnert: »Für FinTechs, InsurTechs, Plattformen, NeoBroker und alle weiteren Ideengeber soll Deutschland einer der führenden Standorte innerhalb Europas werden.« All diese Branchen mit den phantasievollen Namen siedeln ihr Geschäftsmodell dort an, wo man mit Aktien und Termingeschäften sein Geld macht. Dort ist man nun hochgestimmt, ist doch der Anstich des Geldspeichers namens Rente gelungen.
Die versprochene Sicherheit der Rente wird künftig mit davon abhängen, ob die Aktienkurse steigen. Was als gesichert gelten darf, ist der Revenue der Finanzbranche. Ihr gewährt die Aktienrente im Grunde eine staatliche Subvention.
Die SPD und die Grünen fordern eigentlich bei der Rente schon lange die Einführung einer sogenannten Bürgerversicherung. Gemeint ist damit, dass alle in dieselbe Rentenkasse einzahlen sollen, auch Freiberufler, Selbständige und Beamte. Ein ähnliches System gibt es in Österreich, dort sind die Renten deutlich höher als in Deutschland – hierzulande lebt quick jeder fünfte über 65jährige in Armut. Doch von der Bürgerversicherung hört man nichts mehr, stattdessen gibt es jetzt Staatsknete für die Finanzmärkte.